AHOI2YOU Willkommen an Bord!

Ein Projekt zur Integration der Aachener Asylsuchenden von Vera Sous in Zusammenarbeit mir der Bürgerstiftung Lebensraum Aachen

Mitmachaktion in den Sommerferien vom 08. bis 24.07.2015, täglich von 14.00 bis 19.00 Uhr, Kunstwechsel, Wilhelmstraße 26, Aachen (ohne Voranmeldung)

AHOI2YOU Vera Sous

Die im Zuge der anhalten Unruhen im Nahen und Mittleren Osten wie auch in Staaten des Maghreb entstandenen Flüchtlingsbewegungen aus den Krisengebieten stehen seit einigen Jahren regelmäßig im Zentrum medialen Interesses. Dabei sind wenige Phänomene des politischgesellschaftlichen Diskurses von einer ähnlichen Kontinuität wie die Frage nach dem Verbleib der Vertriebenen und der Staatenlosen. Die Flüchtlingspolitik polarisiert: Das ambivalente Verhältnis der europäischen Regierungen zu den Heimatlosen spiegelt sich sowohl in aufrichtiger Anteilnahme und der Bereitschaft zu helfen, als auch in schwerlich zu beseitigenden Ressentiments wider.

Aachen ist eine von zahlreichen deutschen Städten, die Menschen empfängt, die aufgrund von Bürgerkrieg, politischer oder religiöser Verfolgung, Armut usw. ihre Heimat verlassen müssen, und sich um Obdach, Schutz und möglicherweise auch um eine Zukunft für diese bemüht. Gemeinnützige Vereine vertreten ihre Interessen abseits grundlegender Bedürfnisse und versuchen, sie in die urbane Gesellschaft zu integrieren. Dennoch: Oftmals stoßen die Heimatlosen auf bürokratische Hindernisse oder haben Kommunikationsprobleme. Sie leben zusammen mit anderen Flüchtlingen geradezu isoliert und finden sich außerhalb dieser Strukturen wieder in einer oft desinteressierten, manchmal auch abweisenden Umgebung, die gespeist wird vom Misstrauen einiger Ansässiger gegenüber den Neuankömmlingen.

Mit ihrem neuen Projekt, dem Bau eines Hausbootes, plant die Künstlerin Vera Sous den Flüchtlingen in Aachen und der Region eine Plattform zu bereiten und einen Dialog zwischen Neu- und Alt-Aachenern zu schaffen. Im Fokus sollen dabei die persönlichen Erfahrungen der
Asylsuchenden stehen; ihre Geschichten von Bedrohung und Angst, Flucht und Verlust will Vera Sous erzählen und so Fremdheit auf beiden Seiten abbauen. Indem sie die Aachener Bevölkerung an ihren Erinnerungen teilhaben lassen, gelingt es den Flüchtlingen möglicherweise
sogar, ihr Leben in Aachen mit ihrer Vergangenheit zu verbinden und zu einem Teil ihrer Geschichte werden zu lassen. Sie bestimmen dabei, was sie preiszugeben bereit sind.

Vera Sous hat in den letzten Jahren immer wieder Social Sculptures realisiert, im Zuge derer Freunde, Bekannte, aber auch völlig Fremde eingeladen waren, mitzuwirken. Das Schiff bleibt dabei Leitmotiv: Die Künstlerin bespielt es jeweils mit ihren Assoziationen, Fiktionen und
Aussagen. So verändert es jedes Mal sein Gesicht, ist mal Ausflugs- und Erlebnisdampfer, mal Erkundungssegler aus der Zeit von Abenteurern wie Alexander von Humboldt oder James Cook. Die gemeinsame Arbeit am wachsenden Schiff bis zu seiner Vollendung wird als Maßnahme zur Mannschaftsbildung verstanden: Mit dem Projekt wachsen auch Interesse und Verständnis für den anderen.

Bislang hatte jeder Interessierte die Möglichkeit, sich am Schiffsbau zu beteiligen und eigene Ideen und Wünsche einzubringen. So erhielt die Arbeit jeweils eine weitere, eine dynamische Komponente und wurde zu einem Projekt, dessen Ausgang offen war. Am deutlichsten wurde
dies in der Arbeit Ahoi, die im Herbst 2013 am deutsch-belgischen Grenzübergang Köpfchen realisiert wurde. Als harmloser Ausflugsdampfer konzipiert, nahm das Projekt durch die Integration der Schüler der Hauptschule Burtscheid, an der Vera Sous seit mehreren Jahren
unterrichtet, eine politische Wendung. Bewusst wollte die Künstlerin den Jugendlichen ein Ziel setzen: Die gemeinsame Arbeit an einem Kunstwerk, deren Abschluss die Eröffnung sein sollte. Das Thema des Schiffes und der Aspekt der Grenze konnten die Schüler für das Projekt
begeistern.

Im Zuge des Werkens setzten sich einige Schüler mit der Internationalität und der Frage der Grenzen auseinander. Viele der Jugendlichen aus Sous‘ Klasse stammen aus Einwandererfamilien. Einige von ihnen haben nur befristete Aufenthaltsgenehmigungen und unterstehen damit der Residenzpflicht – sie dürfen die Grenze, an der ihr Schiff stand, nicht überqueren. Diese Schüler brachten zuallererst die Farben ihrer Herkunftsländer (wie die des Libanon und Afghanistans) auf Leinwand und hinterfragten damit Vera Sous‘ Vorschlag, europäische Flaggen zu malen. Damit prägten sie das Bild des fertigen Schiffs, das nun nicht nur von Flaggen der stabilen europäischen Staaten geziert wurde, sondern ebenfalls von solchen aus Krisenländern.

Klang hier der Gedanke an ein Flüchtlingsprojekt bereits mit? Die Hauptschule Burtscheid hat in den letzten Jahren immer wieder von Vertreibung und Flucht betroffene Jugendliche, die in Aachen gestrandet sind, aufgenommen. Sie nehmen an eigens eingerichteten Sprachkursen teil und werden in die bestehenden Klassen integriert. Die Geschichten dieser Jugendlichen waren Inspiration für Vera Sous‘ Projektidee und bilden seinen Ausgangspunkt. Es soll ihnen und anderen Aachener Flüchtlingen jeden Alters die Chance geben, sich einzubringen und engere Kontakte zur Bevölkerung zu knüpfen. Vera Sous und andere Aachener Kulturschaffende schaffen dafür die Basis, die Asylsuchenden gestalten die Idee dann nach ihren Vorstellungen aus.

Aus Abfall- und Fundobjekten, Sperrmüllmaterialien und Holzresten soll eine Schiffsarchitektur mit Haus bzw. Kajüte entstehen, die im Innenraum Platz lässt für symbolhafte Objekte und Erinnerungsstücke. Hier können später die einzelnen Geschichten erahnt werden. Die
Betroffenen entscheiden dabei selbst, ob und inwieweit sie ihre Erinnerungen teilen möchten, und welche Objekte sie für die Ausstellung auswählen.

Das Schiff soll zwischen dem 8. und dem 24. bzw. 25 Juli entstehen. Die Schulferien sind für die Realisation besonders geeignet, da genug Zeit zur Arbeit am Projekt bleibt. Gleichzeitig füllt man so die Lücke, die durch das Aussetzen des Schulbetriebs entsteht, sodass den Jugendlichen die Möglichkeit der Ferienaktivität eröffnet wird. Die Galerie Kunstwechsel ist durch ihre zentrale Lage in der Wilhelmstraße und ihre großen Fensterfronten, die Innen- und Außenraum verbinden, für das Projekt ein idealer Ort.

Text: Ana Sous