Ahoi

Das kleine, belgische Zollhaus hat sich im Verlaufe des Ausstellungszyklus 2013 bereits in vielfacher, verblüffender Weise verwandelt. Nun ist es die 1963 in Stolberg geborene Vera Sous, die künstlerisch Hand anlegt an das vitrinenartige Gebäude. Und kurzerhand zur Butterfahrt einlädt.

Denn Vera Sous‘ Installation „Ahoi“ lässt das ehemalige Zollhäuschen zu Wasser gehen. Das Gebäude wird zu Ruderhaus und Kajüte eines europäisch reich beflaggten Kutters. Und der Asphalt zur ruhigen See. Die Idee zu der poetisch-spielerischen Installation hat Sous, die 1983 bis 1988 an der Fachhochschule Aachen Objektdesign studiert hat und seit dem Anfang der 90er Jahre neben ihrer künstlerischen Arbeit Kunstkurse und Schulprojekte für Erwachsene, Jugendliche und Kinder realisiert, mit Hauptschülern der GHS Burtscheid entwickelt. Der aufwändige Aufbau oder genauer: Umbau des Zollhäuschens zu einem „fahrtüchtigen“ Kutter kam durch die gemeinsame Hilfe von befreundeten Künstlern, Handwerkern und Musikern zustande.

Keine Frage, dieser Kutter scheint alles andere als festgefahren zu sein. Es ist verblüffend, wie geradezu selbstverständlich er auf dem Grenzgelände schwimmt. Wie eingefroren und zugleich lebendig. Ein Spielplatz von Phantasien, Assoziationen und liebevoller Ironie. Und er ist bestens ausgestattet. Das „Ruderhaus“ natürlich mit allem, was zum Steuern des Schiffes nötig ist, die Kajüte voller Objekte, Rettungsringe, Bilder, Gesammeltes, Verschrobenes, Dokumente wie etwa ein Seetagebuch eines Kapitän Frithjof Harmsen, Fische, Muschellampen, Buddelschiff, Paddel, Reuse, Koffer, Truhe, und natürlich: eine echte, mit Leuchtturmlampe und einem absurden Erinnerungsbild dekorierte Seemannsbar mit dem unvermeidlichen Rum, ohne den ein Seemannsleben nicht vorstellbar ist. Ein bisschen wirkt das Ganze wie ein ambitioniertes Schifffahrtsmuseum, wenn da nicht die eigenartigen Objekte wären, die nicht zitieren, sondern das Ambiente der maritimen Lebenswelt künstlerisch immer wieder brechen. Nicht laut, aber wirksam.

Wohin mag nun diese Reise zu Wasser gehen? An einem Ort, der wenig Ozeanisches zu bieten hat. Aber zumindest das im wörtlichen Sinne Grenzgängerische. Zumindest zollrechtlich. Also: „Ahoi“ und auf geht die Butterfahrt. Auch wenn diese ja bekanntlich seit dem Ende der 90er Jahre in der Europäischen Union nicht mehr erlaubt sind. Da waren die Zeiten davor geradezu paradiesisch. Seit den 70er Jahren waren Einkaufsfahrten auf einem Ausflugsschiff , die über die auf See gelegene Zollgrenze von Deutschland hinausführten, ein echter Renner. Nicht nur wegen der dänischen Butter, der diese Fahrten ihren Namen verdankt, sondern vor allem auch wegen des billigen Tabaks, der Spirituosen und des Parfüms. Als diese zollfreie Einkaufsmethode der deutschen Wirtschaft zu weit ging, wurden in den 80er Jahren erstaunliche, erschwerende Bestimmungen erlassen, so etwa, dass vor der Freigabe des zollfreien Einkaufs das Schiff im (Zoll-)Ausland anlegen musste. Dies führte zu der kuriosen Situation, dass ein deutsches „Butterschiff“ den nächstgelegenen dänischen oder auch polnischen Hafen ansteuerte und dort ein Tau auswarf, welches um den Poller am Kai geschlungen und nach wenigen Sekunden wieder gelöst wurde, womit das Schiff formal angelegt hatte und zurückfahren konnte. Aber diese Zeiten sind vorbei, auch n der ehemaligen „Kaffeefront“ Köpfchen.

Vera Sous lässt mit ihrer Arbeit, die so angenehm spielerisch ist, nicht alte Zeiten aufleuchten. Es sind ironische, fast kindlich offene Assoziationen, die sie feinsinnig auslöst. Eine angehaltene Zeit an einem Ort des Übergangs, der Transformation. Es macht ihre Installation so stark, dass sie permanent die feine Linie des Dekorierten und Zitierenden umspielt und dass dieser Kutter mit seinem „Zollaufbau“ so gut gemacht ist, dass er tatsächlich zu schwimmen scheint.

Text: Dr. Martin Müller